Anne Marie Turinsky
Einsamkeit
Aktualisiert: 4. Aug. 2021
Einsamkeit spielte in unserer Gesellschaft schon vor Corona eine Rolle und nun betrifft sie noch viel mehr Menschen. Vor allem Personen, die aus Gruppenaktivitäten besonders viel Energie ziehen, leiden nun schon seit vielen Monaten unter den Einschränkungen. Das versuche ich als AFOG zu sehen: „Another fucking opportunity for growth“ [1]. Also eine weitere verdammte Möglichkeit, um mich weiterzuentwickeln 😉
Bei meiner Suche nach hilfreichen Informationen zum Umgang mit Einsamkeit ist mir das Buch „Einsamkeit“ des Neurowissenschaftlers Manfred Spitzer in die Hände gefallen. Bei vielen der Tipps, die ich dir gleich geben möchte, orientiere ich mich an den Forschungsergebnissen, die er zusammengetragen hat [2].

Warum ist Einsamkeit eigentlich so ein Problem?
Zuerst einmal ist Einsamkeit ein unangenehmes Gefühl. Wenn ich mich einsam fühle, werden die gleichen Areale meines Gehirns aktiviert, die auch für Schmerz verantwortlich sind. Einsamkeit tut also tatsächlich weh!
Zweitens ist Einsamkeit (genau wie gewisse Krankheiten) ansteckend. Wissenschaftler haben herausgefunden, dass es wahrscheinlicher ist, dass eine Person sich einsam fühlt, wenn sich Menschen in ihrem nahen Umfeld einsam fühlen. Es macht dabei tatsächlich einen Unterschied, wie weit entfernt jemand wohnt; je weiter weg umso weniger ansteckend ist die Einsamkeit. Und wie ihr euch schon denken könnt, ist sie eher bei einer nahestehenden Person ansteckend. Doch selbst wenn Freunde von meinen Freunden einsam sind, erhöht das die Wahrscheinlichkeit, dass ich mich auch einsam fühle!
Zuletzt bedeutet Einsamkeit Stress für unseren Körper. Die Stresshormone erhöhen wiederum unser Krankheitsrisiko. Es fühlt sich also nicht einfach nur unangenehm an, sondern kann uns tatsächlich krank machen.
Was kannst du also tun, wenn du dich einsam fühlst?
1. Bewusstwerdung (Ernstnehmen der Tragweite)
Den ersten Schritt hast du bereits getan, indem du diesen Artikel liest: Du machst dir bewusst, dass Einsamkeit ein Problem ist und welche Tragweite es hat. Um gut für dich selbst zu sorgen ist es essenziell, dass du Einsamkeit nicht einfach abtust, als ob es kein Problem wäre, sondern ernst nimmst, wenn es dir damit nicht gut geht. Um zu bemerken, dass du dich einsam fühlst, braucht es außerdem ein gewisses Maß an Achtsamkeit. Dafür kannst du ab und zu mit deinem Körper und deinen Gefühlen einchecken, indem du dich fragst „Wie geht es mir eigentlich grade?“ Ich habe dafür ein bisschen Übung gebraucht, aber mit der Zeit wurde es immer einfacher zu bemerken, wie ich mich gerade fühle und dann auch herauszufinden, was ich in verschiedenen Situationen brauche, damit es mir besser geht.
2. Prosoziales Verhalten – Geben und/oder Helfen
Etwas zu geben oder jemandem (auch aus der Ferne) zu helfen, sind prosoziale Verhaltensweisen. Das sind Verhaltensweisen mit denen man etwas zur Gemeinschaft beiträgt. Wenn wir uns auf diese Weise verhalten, schüttet unser Gehirn Hormone aus, die uns verbunden und glücklich fühlen lassen. Dafür brauchen wir nicht mit einer Person im gleichen Raum zu sein. Ein gutes Beispiel für „Geben“ ist etwas zu spenden. Wenn du da Inspiration suchst, findest du Vergleichsseiten im Internet, die zeigen, welche Spendenorganisationen am effektivsten sind. Oder du schaust mal nach kleinen Unternehmen in deinem Umfeld, die gerade zu kämpfen haben.
Helfen ist natürlich noch effektiver, wenn es mit direktem Kontakt verbunden ist. Viele tun dies durch eine ehrenamtliche Tätigkeit, bei der freiwilligen Feuerwehr etc. Wichtig hierbei ist, dass nicht jedes Helfen unbedingt gut tut. Es gibt viele Menschen in helfenden Berufen, die sich durch ihre Arbeit eher ausgebrannt fühlen. Ausschlaggebend ist dafür das Kontrollerleben. Hast du das Gefühl, dass du selbst entscheiden kannst, ob du helfen willst? Wenn nicht, führt das eher zu Stress. Doch wer freiwillig hilft, erlebt Selbstwirksamkeit. Das bedeutet, dass es dein Vertrauen darin fördert, durch das, was du tust auch den Effekt erreichen zu können, den du gerne möchtest (aus meiner Erfahrung ein sehr gutes Gefühl, eng gekoppelt an Selbstwert, Resilienz u.v.m.)
3. Musizieren, Singen und Tanzen
Ich fand es bei meiner Recherche zu diesem Thema sehr spannend herauszufinden, dass genau diese Dinge, also Musizieren, Singen und Tanzen in allen bisher bekannten Kulturen auf irgendeine Weise vorkommen. Das scheint also etwas zutiefst Menschliches zu sein. Auch wenn ich mich mit nur ein oder zwei anderen Personen zusammen zu Musik bewege oder wir gemeinsam singen, bringt uns das einander näher. Und selbst wenn du diese Dinge allein tust, schüttest du Glückshormone aus. Das funktioniert bereits, indem du einfach nur Musik hörst, die du magst [3].
4. Die Einsamkeit suchen: am besten in der Natur!

Doch es gibt auch die andere Seite: Viele sind aktuell überfordert und wünschen sich eigentlich mehr Einsamkeit. Mein Tipp hierfür: Geht in die Natur. Es wurden sehr viele Studien dazu durchgeführt, wie Naturerleben uns beeinflusst und ich möchte hier nur einen kurzen Einblick zu den Ergebnissen geben:
Zeit in der Natur verbessert unsere Stimmung. Viele der Versuchspersonen haben vermutet, dass es ihnen nach einem Spaziergang genauso gut gehen würde wie vorher und doch war ihre Stimmung danach deutlich gehoben. Wenn Menschen Zeit in der Natur verbracht haben, konnten sie außerdem besser ihre Gefühle regulieren oder sich konzentrieren. Außerdem empfanden sie weniger Stress und Angst. Obwohl die Versuchspersonen allein in der Natur waren, hatten sie weniger mit Grübeleien zu kämpfen. (Grübeln bedeutet, dass die eigenen Gedanken immer weiter um ein Problem kreisen und man am Ende statt einer Lösung einfach nur schlechte Laune hat.)
In der Natur zu sein, führte zu mehr Gefühlen von Nähe und Verbundenheit, selbst wenn die Versuchspersonen allein draußen waren. Eine Erklärungstheorie dazu ist, dass man sich in der Natur mehr als Teil eines „Großen Ganzen“ erlebt. Noch dazu führte die im Freien verbrachte Zeit zu mehr Mitgefühl und Großzügigkeit gegenüber anderen Menschen. Dabei ist jedoch zu beachten, dass es einen Unterschied macht, wo im Freien du dich aufhältst. All diese Effekte wurden bei einem Spaziergang in der Stadt nicht so vorgefunden, wie bei einem Spaziergang im Wald oder an einem Gewässer.
5. Therapie und Beratung
Zuletzt gibt es immer die Möglichkeit, dass du dir professionelle Hilfe suchst. Das ist keine Schande, sondern ein mutiger und proaktiver Schritt um deine Lebensqualität zu verbessern. In Therapie und Beratung gibt es verschiedene Ansätze zum Umgang mit Einsamkeit. Es kann dabei z.B. darum gehen, die Kontaktmöglichkeiten zu vermehren, soziale Unterstützung aufzubauen oder soziale Fähigkeiten zu trainieren.

Zuletzt noch einige Worte dazu, was du tun kannst, wenn du unter Menschen bist und dich trotzdem einsam fühlst. Vielleicht kennst du den Gedanken „Ich fühle mich wie ein Alien.“ Dazu möchte ich dir zwei Anregungen mitgeben: Erstens, gibt es gerade einen Menschen dem du dich mit diesen Gedanken anvertrauen kannst? Aus meiner Erfahrung kann es schon sehr helfen, mit einer einzigen Person einen tieferen Kontakt aufzubauen, um sich in einer Gruppe nicht mehr so fremd zu fühlen. Zweitens: Sind diese Menschen dein Rudel? Ich habe dieses Bild eines Rudels oder Stamms für die Menschen, die mir wirklich nahestehen. Wenn ich dann unter Menschen bin, bei denen es mir schwer fällt, eine Verbindung aufzubauen, sage ich mir häufig „Das ist nicht mein Stamm.“ Damit erinnere ich mich daran, dass es Menschen gibt, die mich so lieben und schätzen, wie ich bin und bei denen es mich keine Mühe kostet, eine Verbindung aufzubauen.
Es ist vollkommen okay, nicht mit allen Menschen total grün zu sein. Tatsächlich gibt es eine Lehre, die besagt, dass in einer Gruppe von zehn Leuten ungefähr zwei sind, mit denen du dich potentiell anfreunden kannst. Das heißt, sie können dich leiden, egal, was du tust und du magst sie auch. Sieben von den zehn Mensch bist du einfach egal und eine von zehn Personen kann dich nicht leiden und du sie auch nicht [4]. Es ist demnach ein großes Glück, wenn du irgendwo sehr viele Menschen triffst, die du magst und die dich mögen.
Ich hoffe, dass dich dieser Artikel dahingehend inspiriert, dass du dir etwas Gutes tun kannst, auch wenn du dich einsam fühlst.
Quellen:
(1) Veaux, F. More than two, S. 15.
(3) Spitzer, M. Einsamkeit, S. 191 - 229
(2) Vitti, A. Womancode
(4) Kishimi, I. Du musst nicht von allen gemocht werden, S. 256 & 257
Bilder:
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